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Das Institut für
transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) der Europa
Universität Viadrina, Frankfurt
(Oder), hat es sich in Forschung und Lehre zur Aufgabe gemacht, die
geisteswissenschaftlichen
Wurzeln der Medizin zusammen mit ihrer naturwissenschaftlichen
Entwicklung als
integriertes Ganzes zu behandeln. Im Mittelpunkt eines solchen
Medizinverständnisses
steht der Mensch, zu dessen Heilung anthropologische, teleologische und
diagnostisch/therapeutische Verfahren aus dem Erfahrungsschatz
verschiedener Kulturen
ebenso zu berücksichtigen sind, wie die der modernen Medizin.
Eine solche
komplementäre Medizin schafft unseres Erachtens das Potential
einer umfassenderen Heilung,
von der nicht nur das Individuum, sondern auch der gesamtgesellschaftliche
Kontext profitiert. Der Anspruch einer
integrativen Komplementärmedizin bedarf nach unserem Verständnis
jedoch eines weiteren
Aspektes: der Integration des Bewusstseins - d.h. der
Fragestellung, welche Bedeutung dem
Bewusstsein im Heilungsprozess zukommt und welche Methoden hierfür hilfreich
sind. Ausgehend von der zentralen Bedeutung einer solchen
Integration, war es notwendig, einen Forschungsschwerpunkt für eine Kultur des
Bewusstseins zu
etablieren und in die Anwendungsbereiche: Bildung, Gesundheitsprophylaxe
und Therapie zu integrieren.
Kultur des BewusstSeins - Neuroethik und ihre Implikationen
Was bedeutet „Kultur
des Bewusstseins“? Seit den 1990er Jahren hat die Neurowissenschaft
beträchtlich an Bedeutung gewonnen. Neben neuen technische
Möglichkeiten, wie
EEG und PET, die indirekt Einblicke in die Funktionsweise des
Gehirns erlauben, und neuen,
teilweise bahnbrechenden Erkenntnissen, wie beispielsweise der
Neurogenese, hat sich
auch die Frage nach dem Bewusstsein aus einem vormals eher philosophischen
Kontext gelöst und ist Gegenstand naturwissenschaftlicher
Forschung geworden. Die hierbei
entstandenen Erkenntnisse über die Möglichkeiten des
Bewusstseins bringen jedoch
wesentliche ethische Herausforderungen, sowie gesellschaftliche und
kulturelle
Veränderungen mit sich. Denn, indem es der Bewusstseinsforschung
gelingt, eine immer umfassendere
Theorie des Bewusstseins aufzubauen und darüber hinaus Veränderungen der
Inhalte des subjektiven Erlebens zu entwickeln, ergeben sich, mit
Thomas Metzinger
gesprochen, äußerst dringliche Fragenkomplexe „und zwar
schneller, als viele von uns heute
vielleicht noch denken.“ (Metzinger, 2010:15) Diese
Fragenkomplexe werden unter dem
Schlagwort Bewusstseinsethik zusammengefasst. Aus ihnen
ergeben sich Fragen wie die
folgenden: Welche Bewusstseinszustände wollen wir fördern und
kultivieren, welche
sollten aus ethischen Gründen vermieden werden, welche Bewusstseinszustände
wollen wir unseren Kindern beibringen und in welchen wollen wir
sterben?
Vor allem die
Einsicht, dass das Gehirn – als Basis und Substrat der Erzeugung
von Bewusstsein – ein
immens plastisches System ist, stellt uns gesamtgesellschaftlich
vor folgende Aufgabe: Wenn
die Zustände unseres Bewusstseins, die wir kultivieren, wie wir
nun wissen, eine
deutliche Rückwirkung auf die neuronale Struktur haben, dann
tragen wir durch die Art, wie wir
mit unserem Bewusstsein umgehen Verantwortung dafür, welche
Bewusstseinszustände
wir in Zukunft individuell und gesamtgesellschaftlich bahnen. Wenn
beispielsweise klar
ist, dass, wie wir nun wissen, das Lernen einer neuen Aufgabe, wie
etwa des Jonglierens,
bereits innerhalb weniger Wochen nachweisbare neuronale Strukturen
neu entstehen lässt, oder
das Erlernen von Meditation, dann müssen wir die Frage ernst
nehmen, welche Arten
solcher Bahnungen wir bei uns selber und bei unseren Kindern
voranbringen wollen (Driemeyer,
Boyke, Gaser, Büchel, & May, 2008; Hölzel, Carmody, Evans,
Hoge, Dusek,
Morgan et al., 2009).
Auf der anderen Seite
erleben wir, dass durch neue Informationstechnologien unsere Welt
von einer Masse von
Informationen überflutet wird, deren wir individuell und gesamtgesellschaftlich
kaum mehr Herr werden. Dies ist vor allem bei Kindern ein Problem,
weil sie rasch
adaptieren und oft noch zu wenig strukturelle Kraft haben, sich
gegen Informationsüberflutung
und Zerstreuung zu schützen. Daher ist die Vermittlung einer
Kultur des Bewusstseins eine
neue Bildungsaufgabe, die noch kaum vom offiziellen Bildungssektor erkannt
worden ist. Es geht somit um die
Einführung und Begründung einer Neuroethik - einer normativen
Perspektive in der
Bewusstseinsforschung - die sich mit solcher Art Fragen kritisch
auseinandersetzt. Mit
der Etablierung des Forschungsschwerpunkts Kultur des Bewusstseins
an der Viadrina wird das Ziel verfolgt, einen integrativen Forschungsbereich aufzubauen, der
eine
Bewusstseinsforschung mit all ihren Implikationen umfasst. Ein
besonderes Interesse gilt dabei, diese
Implikationen auf die Epistemologie anzuwenden und damit den
Radius wissenschaftlicher
Erkenntnisgewinnung zu erweitern.
Verankerung einer
Kultur des BewusstSeins in gesellschaftsrelevante Praxisfelder
Aus dem gegenwärtigen
Stand der Forschung ergeben sich ausreichend Gründe, um Elemente zur
Kultivierung des Bewusstseins in verschiedene Praxisfelder zu
integrieren. Der Fokus der
einzelnen Praxisfelder begründet sich aus denjenigen, die als
besonders nachhaltig
und vordergründig erachtet werden. Dazu gehören:
Schul- und Bildungseinrichtungen
Therapeutische Ambulanzen
Fortbildungen für Führungskräfte
Prävention von Demenzerkrankungen
Im Institut wurden hierzu
Projekte entwickelt und durchgeführt. Für manche
dieser Praxisfelder, etwa
für die Einrichtung einer therapeutischen Ambulanz, sind Gespräche mit Finanzierungspartnern aus der
Versicherungsbranche aufgenommen worden,
für andere, etwa für den Bereich Achtsamkeit in der
Schule, ist das Institut auf der Suche nach Kooperationspartnern und
Förderung.
Schul- und
Bildungseinrichtungen
Seit Oktober 2010 hat
das Institut Kooperationen mit verschiedenen Schulen in
Frankfurt (Oder) geschlossen.
Darunter befinden sich zwei Grundschulen, ein Gymnasium und eine
Gesamtschule. Ziel
dieser Kooperation ist es, die Inhalte einer Kultur des
Bewusstseins in die Bildungspraxis zu
integrieren und wissenschaftlich zu begleiten. Dazu leiten MitarbeiterInnen des
Instituts in Klassen verschiedener Jahrgangsstufen ein selbst
konzipiertes,
achtwöchiges Achtsamkeitstraining an. Achtsamkeit stellt unseres
Erachtens eine angewandte
Methodik für eine Kultivierung des Bewusstseins dar. Durch das
bewusste Wahrnehmen mentaler
und physischer Prozesse lernen Kinder im Bildungsprozess nicht nur
die Außenwelt,
sondern auch sich selbst und ihre Innenwelt besser zu erforschen.
Sie entwickeln die
Fähigkeit, ihre Gedanken und Gefühle bewusst zu erleben und
erlernen Möglichkeiten, in
konstruktiver Weise damit umzugehen. Die in diesem Bereich durchgeführten
Studien belegen eine verbesserte Aufmerksamkeitsleistung und
Konzentration, eine
verbesserte Fähigkeit der Selbstregulation und der sozialen
Kompetenz. Zudem wird von
größerer innerer Ruhe, verminderter Prüfungsangst und höherer
Schlafqualität
berichtet (Beauchemin, Hutchins, & Patterson, 2008; Biegel,
Shapiro, Brown, & Schubert 2009;
Flook et al., 2010; Napoli, Krech, & Holey, 2005; Salzman
& Goldin, 2008; Wall, 2005; Zylowska
et al., 2008).
Auch eigene
Studien im universitären Kontext haben gezeigt, dass Studierende
eine signifikante
Veränderung im Hinblick auf ihr Stressempfinden erfahren, weniger
ängstlich und depressiv sind und
eine größere Aufmerksamkeitskapazität entwickeln („Mindfulnessbased
Coping with University
Life“ ; Walach, Lynch, & Gander, 2008; Lynch, Gander, &
Walach, 2009; Lynch,
Gander, Kohls, & Walach, submitted). Die Evaluierungen
sollen die Grundlage für
Lehrermanuale und Handbücher werden, die es Lehrenden
ermöglichen soll, Achtsamkeit im Unterricht zu
implementieren.
Aufbau einer
therapeutischen Ambulanz
Achtsamkeit als
angewandte Methodik einer Kultur des Bewusstseins hat sich in
letzter Zeit als interessanter
neuer Ansatz in der klinischen Forschung und Versorgung
entwickelt, vor allem weil sie gut mit
dem bereits wohl etablierten verhaltenstherapeutischen Instrumentarium
kombinierbar ist (Heidenrich & Michalak, 2004). Der neue
Ansatz, der durch Achtsamkeit in das
traditionelle Versorgungskonzept eingebracht wird, ist der Fokus
des Bewusstseins. Während
klassische westliche Konzepte vor allem Kontrollstrategien anwenden, wird mit
Achtsamkeit als zugrundeliegender Haltung eine aufmerksame, nicht
wertende Wahrnehmung
praktiziert. Denn Achtsamkeit meint das Gegenwärtigsein im
Augenblick, ohne die
wahrgenommenen Inhalte zu bewerten oder verändern zu wollen.
Dabei wird davon ausgegangen, dass
durch Achtsamkeitspraxis ungünstige kognitive Strukturen zugunsten
adaptiver Coping-Strategien verändert werden können (Kuyken et
al., 2010).
Die
WissenschaftlerInnen am Institut haben in der
Erfahrung mit Depressions- und Angstpatienten, die im Rahmen
einer Pilotkollaboration mit
dem Primary Mental Health Care Trust Northamptonshire behandelt
wurden, gesehen, dass
Interventionen in Achtsamkeits- und
Meditationsgruppen, vor allem wenn sie angepasst sind, sehr
vielversprechend sind.
Dies ist für Depressionsrückfälle gut belegt (Teasdale et al.
2000; Ma & Teasdale, 2004;
Kuyken et al., 2008; Kuyken et al., 2010). Erste Befunde zeigen
auch bei akuten Depressionen
gute Effektstärken (Kenny & Williams, 2007). In einer
Übersichtsarbeit konnte gezeigt
werden,
dass das generische Programm der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion für
verschiedene klinische Probleme eine akzeptable Wirksamkeit mit
der Effektstärke von etwa
einer halben Standartabweichung aufweist (Grossman, Niemann,
Schmidt, & Walach,
2004). Der Osten Deutschlands
gehört zu den strukturschwachen Gebieten Deutschlands. Aufgrund der
wirtschaftlichen und strukturellen Schwierigkeiten ist die
Versorgung mit psychotherapeutischen
oder psychoedukativen Maßnahmen unzureichend. Hinzu kommt,
dass aufgrund der
klinisch-psychiatrischen Geschichte der DDR auch die Sorge um
Etikettierungen groß
ist. Neben den Schulprojekten plant das Institut deshalb ein
Ambulanzangebot, das
vor allem psychoedukative Ziele verfolgt, in dem es Betroffenen
hilft, auf der Basis von
Achtsamkeit Kompetenzen zu erlernen, die ihnen helfen, mit Schwierigkeiten besser
umzugehen zu lernen. Den Vorteil wird besonders darin gesehen, dass
psychisch in Not
geratene Menschen mit solcher Art bewusstseinsbildender Maßnahmen
sich zunehmend selbst
helfen können. Daten aus verschiedenen Studien zeigen, dass etwa
70-80% der Personen
das Gelernte in ihr Alltagsleben integrieren und damit einen
wesentlichen Beitrag
für ihre Entwicklung und Gesundheit leisten (Kuyken et al., 2008;
Ma & Teasdale, 2004;
Teasdale et al., 2000). Das Angebot soll die klinische Forschung
auf diesem Gebiet voranbringen.
Fortbildungen für
Führungskräfte
In einer Pilotstudie
konnten wir zeigen, dass Achtsamkeitstraining als Methode zur
Kultivierung des
Bewusstseins auch im Bezug auf die Arbeitswelt einen wertvollen
Ansatz darstellen kann (Walach
et al., 2007). Aus einer weiteren Studie, die wir mit
Führungskräften in Belgien
durchgeführt haben geht hervor, dass Führungskräfte im
besonderen Maß verschiedenartigen
Stressoren ausgesetzt sind (Full, 2010). Durch die oft
weitreichenden Konsequenzen ihrer
Verantwortungsbereiche gilt es, besondere Kompetenzen im Hinblick
auf Weitsichtigkeit,
Einschätzungsvermögen, Intuition, aber auch innovativem Denken
und Handeln auf einer
Basis verantwortlicher Ethik zu entwickeln. Die Ergebnisse unserer
Studie legen nahe, dass
Trainingsinterventionen im Bereich Kultur des Bewusstseins zu
einer Reduktion von Stress,
höherer Effizienz und Leistungssteigerung, höherer Konzentrationsfähigkeit
und höherem Verantwortungsbewusstsein, einer größeren Sensibilität
gegenüber ethischen Werten und größerer geistiger Balance
bewirken, des weiteren zu mehr Kreativität von Lösungsstrategien, Ideenfluss und innovativen Einsichten
führen. Weitere
Studien und Implementierungen in diesem Bereich sollen den Stand
der Forschung erweitern
und die Modalitäten zur Entwicklung von Führungsqualitäten für
Führungskräfte effizienter und
nachhaltiger gestalten.
Prävention von
Demenzerkrankungen
In Deutschland waren
Schätzungen zufolge 2007 1,1 Millionen Menschen dement (Blicker,
2008). 2010 lag die
geschätzte Zahl der weltweit an Demenz erkrankten bei 35,6
Millionen. Für 2050 wird ein
Anstieg auf 115,4 Millionen prognostiziert (WHO, 2009; WHO 2010).
Die damit verbunden
globalen Kosten wurden für 2010 auf US$ 604 Billionen (WHO, 2009;
WHO, 2010) geschätzt.
Der aktuellen Datenlage zufolge müssen Präventionsmaßnahmen
auf einer multiplen
Ätiologie basieren (Mangialasche et al. 2009). Wir arbeiten
deshalb an einem vier Säulen
Lifestyle Programm (Comprehensive Primary Prevention and Treatment
Programme for
Alzheimer’s Desease – COMPRETA) welches Ernährung, Bewegung,
Vermeidung von Toxinen
und eine Kultur des Bewusstseins umfasst. Den Aspekt einer Kultur des
Bewusstseins betreffend bestätigt eine neue Studie die Zunahme
von grauer Substanz im Gehirn
durch die Praxis von Achtsamkeit. Namentlich einer Zunahme im
linken Hippocampus, dem
posterioren singulären Cortex, der temporo-parietalen Kreuzung
und dem Cerebellum, d.h.
den Regionen des Gehirns, die für Lernen, Gedächtnis und Emotionsregulierung verantwortlich
sind (Hölzel et al., 2010).
Zusammenfassung
Das Institut für
Transkulturelle Gesundheitswissenschaften geht in seiner
Forschungsgruppe davon aus, dass Bewusstseinsforschung sowohl
innerhalb der
Gesundheitswissenschaften also auch innerhalb der
Wissenschaftstheorie und insbesondere in den
angewandten gesellschaftlich relevanten Feldern von zentraler
Bedeutung ist. Es ist ihr wichtigstes Anliegen, diese Forschung voranzutreiben und die
gewonnenen
Erkenntnisse in der Praxis zu verankern. Die WissenschaftlerInnen
sehen darin einen
unmittelbaren Fortschritt für
Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft und Gesundheitsprophylaxe. Sie suchen
Kooperationspartner,
die an einem ebensolchen Fortschritt interessiert sind und das
Institut darin unterstützen. Konkret
wird finanzielle Unterstützung benötigt; einzelne „Patenschaften“
innerhalb des Budgets oder Teilfinanzierungen sind möglich.
Insbesondere wäre es ein
Anliegen, die Personalfinanzierung für eine leitende
Mitarbeiterin zumindest für ein Jahr, besser
für zwei abzusichern, um eine gewisse Kontinuität in der Arbeit
und Planung zu erreichen. Dem
Institut wäre sehr geholfen, eine oder zwei Doktorandenstellen
für die Dauer von
zwei weiteren Jahren zu erhalten. Die beiden Stellen sind aus
anderen Mitteln bereits über ein Jahr
finanziert worden.
Quelle:
Prof. Dr. Dr. Harald
Walach, Dr. Gisela Emma Full
Europa-Universität
Viadrina
Institut für
Transkulturelle Gesundheitswissenschaften, Frankfurt/Oder
(IntraG)
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